Madame Guyon
Das innere Gebet

Nach einer Ausgabe aus dem Jahre 1740. Nachdruck 2006

 


 

    Das innere Gebet ist ein so wichtiger Punkt, dass man sagen kann, es sei das einzige Mittel, um in diesem Leben zur Vollkommenheit und zu einer lauteren, selbstlosen Liebe des Herzens zu gelangen. Alle welche wirkliche Christen sein wollen, sind zu diesem Stand der lauteren Liebe und Vollkommenheit berufen. Damit sie diesen Stand aber erreichen können, wird ihnen kraft der Berufung auch die nötige Gnade dargereicht werden. Das innere Gebet ist für alle Menschen geeignet, ja selbst die einfältigsten Leute können dieses Gebet verrichten. Das Mittel und der Weg dazu ist kurz, das heißt aber nicht, dass man sogleich vollkommen sei, denn man geht von Stufe zu Stufe.

    Das innere Gebet bringt uns am schnellsten zur Vereinigung mit Gott und zur Übereinstimmung mit seinem Willen. Nach vielen Abwechselungen, Prüfungen und Reinigungen in und nach diesem Leben werden wir uns durch die Überlassung, durch die Vereinigung und durch die Umgestaltung unseres Willens in den Willen Gottes so befestigt und bestätigt finden, dass wir in uns keinen eigenen Willen mehr finden können. Wir werden nur noch das wollen, was Gott will, so dass der Wille Gottes unser Wille geworden ist.

    Dass aber dieses schon in diesem Leben geschehen kann und muss, ist unbestritten, obgleich auch nach dem Tode noch eine größere Vollendung erfolgt. Denn wenn man die Hingabe unseres Willens an den Willen Gottes in diesem Leben noch nicht haben könnte, so würde Jesus Christus nicht befohlen haben, um solches zu bitten, indem Er sprach: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Hätten nämlich nur die Seligen im Himmel die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, so hätte ja Jesus um etwas gebeten, das gar nicht möglich gewesen wäre. Wir sehen also, dass das innere Gebet nichts Neues ist. Man hat allezeit um die Erfüllung des Willens Gottes gebetet. Jesus Christus hat sein ganzes Leben im inneren Gebet zugebracht und ganze Nächte darin verharrt.

    Vielleicht denken einige, das innere Gebet sei allein für die Weisen und Gelehrten und nicht für die Unwissenden und Ungebildeten. Mein Lieber, was kann die wahren Christen von andern Völkern unterscheiden, als nur das innere Gebet und die Übung der Gegenwart Gottes? Und wenn der Apostel Paulus sagt, dass man ohne Unterlass beten soll, schließt er hievon einen einzigen aus? Redet er nicht zu allen? Denn das Gebet ohne Unterlass kann nur durch das innere Gebet geschehen. Deshalb ist es unmöglich, ohne Unterlass zu beten, wenn man nicht dem inneren Geistesleben ergeben ist. Solche, welche noch nicht im Inneren stehen, meinen es sei unmöglich, immer zu beten. Dass aber nichts leichter ist als das, wissen nur die inneren, geistlichen Menschen. Dieser innere Stand ist eine fortwährende Danksagung zu Gott durch Jesus Christus und in Jesus Christus; und es ist der Wille Gottes, dass wir in diesem Stand des Gebets und der stetigen Danksagung verharren.

    Das innere Gebet ist für alle bestimmt, genauso wie der Glaube, die Hoffnung und die Liebe ebenfalls für alle wahren Christen sind. Denn Glauben, Hoffnung und Liebe anzunehmen, in sich wirken zu lassen und wieder aufzuopfern, ist ein sehr gutes und vortreffliches Gebet. Denn wenn wir, belehrt durch den Geist Gottes, das innere Gebet im Geist und in der Wahrheit einfältig verrichten, so werden auch die drei Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, ausgeübt. Ebenso verhält es sich auch mit den Wirkungen der anderen Tugenden, welche alle gegenseitig voneinander abhängen und voneinander ausgehen, sei es nun das Werk der Anbetung Gottes, des Lobes, der Danksagung oder der Bitten.

    Jeder wahre Christ ist schuldig, diese Wirkungen der Tugenden wenigstens mit dem Herzen oder innerlich hervorzubringen, auch wenn er sie nicht mit dem Munde ausspricht oder äußerlich verrichtet. Deshalb ist es notwendig, innerlich zu beten und sich so zu üben im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Denn diese drei Haupttugenden können nie besser ausgeübt werden als im inneren Gebet. Wer deshalb das innere Gebet unterlässt, vernachlässigt die Ausübung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

    Wenn nun jemand in seiner Blindheit behauptet, das innere Gebet sei nicht für alle, so müsste er auch sagen, dass Glaube, Hoffnung und Liebe ebenfalls nicht für alle seien. Denn wie wir gesehen haben, gehört das innere Gebet mit den drei Haupttugenden so fest zusammen, dass man nicht eine Sache verneinen und die andere bestätigen kann. Wer also zugibt, dass Glaube, Hoffnung und Liebe für einen Christen unentbehrliche Tugenden sind, der beweist hierdurch die Notwendigkeit des inneren Gebets. Wer das eine bestätigt, erhärtet auch das andere; wer das eine verteidigt, muss notwendig auch das andere verteidigen, da Glaube, Hoffnung und Liebe nie besser als im inneren Gebet ausgeübt werden können.

    Somit sind alle zu diesem Weg und zu diesem Ziel berufen, nämlich nichts mehr zu wollen als was Gott will, und durch das Mittel des inneren Gebets wieder in ihren Ursprung, welcher Gott ist, einzugehen. Denn Gottes Güte ist unendlich. Er zögert nicht, allen denen die Er berufen hat, die nötigen Mittel anzubieten und mitzuteilen, wenn sie nur treu wären, sich dieser Mittel auch zu bedienen, um sich auf' diesem Weg und zu diesem Ziel führen zu lassen. Denn durch die dargereichte göttliche Kraft kann man diesen Weg gehen. Wenn trotzdem nur sehr wenige dahingelangen, so ist das aus Mangel an Treue. Denn die Treue besteht nicht darin, dass man in eigener Wirksamkeit und selbstgefälliger Beschäftigung auf seiner Hut stehe, indem man auf sich selbst acht hat und von sich aus viel wirkt, sondern darin besteht die Treue, dass man glaube und sich an Gott überlasse.

Glaube doch, dass Gott allgütig und allmächtig ist. Allgütig in diesem Sinn, um diejenigen niemals zu verlassen, welche sich Ihm übergeben; und allmächtig, um uns jederzeit zu unterstützen und zu erhalten. Die Treue besteht aber auch in einer völligen, absoluten und bedenkenlosen Überlassung und Übergabe an Gott wider jede Vernunft, welche auf keinen Eigennutzen sieht, sondern sich wie blind führen lässt von dem, der ihn leitet.

    O ihr armen Seelen, die ihr so oft und so lange unter der Gefangenschaft der Sünde seufzt. Warum übergebt ihr euch nicht an Gott, und warum schenkt ihr euch nicht Ihm durch das Mittel des inneren Gebets? Ihr würdet durch dasselbe bald zurechtkommen. Glaubet nicht, das innere Gebet sei nur für die Unschuldigen und bekehrten Seelen, sondern gerade die größten Sünder und die unbekehrten Menschen haben das Gebet am meisten nötig. Das Gebet ist ein Umgang Gottes mit der Seele, und ein Umgang der Seele mit Gott. Gott kehrt sich zuerst zur Seele, und die Seele kehrt sich zu Gott. Was ist das anderes als eine Bekehrung? Denn die Bekehrung ist ein Gebet, und es gibt keine wahrhaftige Bekehrung ohne das Gebet. Das innere Gebet ist die Nahrung der Seele. In dieser heiligen Ruhe schöpft die Seele die Kräfte, die ihr nötig sind. Nimmt man ihr diese Nahrung weg, so wird sie sogleich in Mattlosigkeit oder auch in eine tödliche Ohnmacht fallen.

    Auf welche Art und Weise soll man nun das innere Gebet verrichten? Um diese Frage beantworten zu können, muss man zuerst darauf hinweisen, dass das innere Gebet aus zwei Arten bestehen kann, nämlich aus dem wirksamen Gebet und aus dem leidenden Gebet. Das wirksame Gebet ist für jedermann, hingegen soll und kann man niemand in das leidende Gebet einführen. Das wirksame Gebet kann man auf zwei Arten ausüben, das erste ist das Das Wort- oder Mundgebet. Es wird mit Worten aus dem Herzen gebetet, sei es nun mit lauter Stimme oder nur in Gedanken. Das zweite ist das Herzensgebet. Es wird ohne Stimme, ohne Worte und Gedanken gebetet. Dieses Herzensgebet ist die Vorbereitung und gleichzeitig die Einführung in das leidende Gebet. Das Herzensgebet ist unvergleichlich nützlicher und Gott viel angenehmer als das Wort- und Mundgebet. Gott verleiht großen Segen zu dem Herzensgebet und es können ohne weiteres Wirkungen und Früchte erkannt werden.

    Wir müssen lernen mit dem Herzen zu beten, wozu auch die Einfältigen fähig sind, und nicht mit dem Verstande. Beten wir doch ein Gebet der Liebe und nicht des tiefsinnigen Nachdenkens, ein Gebet des Geistes Gottes und nicht des Geistes der Menschen. Aber eben, man will prächtige und ausstudierte Gebete verrichten. Man schmückt sie künstlich und macht sie so unmöglich; doch hat der Geist Gottes ein solches Ausschmücken nicht nötig. Ich stelle mich lieber täglich einige Augenblicke vor Gott hin, indem ich, ohne vernünftige Überlegungen oder Betrachtungen anzustellen, mein Gebet etwa mit folgenden Stoss-Seufzern beginne: O mein Vater! O mein Gott! O mein Alles!

    Darauf verharre ich dann einige Augenblicke in einem ehrerbietigen stillschweigen, ohne Ihm weiter etwas zu sagen. Ich stelle mich nur vor Gott dar und übergebe Ihm meinen Willen, auf dass Er damit schalten und walten möge, und lasse das Herz allein ohne Mithilfe der Vernunft, der Gedanken oder der Worte beten. Wenn ihr euch nun auf eine solche Weise alle Tage im Gebet übt, so bin ich sicher, dass ihr davon bald eine gute Wirkung verspürt. Bleibt nur so vor den göttlichen Augen liegen, wie man sich an die Strahlen der Sonne legt oder sich ans Feuer stellt, um sich zu wärmen, so wird man aufs neue warm. Und wenn auch auf eurer Seite keine Wirkung zu sein scheint, weil es mehr ein leidendes als wirksames Stillesein vor Gott ist, so werdet ihr doch von der göttlichen Hitze seiner Liebe unvermerkt durchdrungen. Denn wie das Feuer die Menschen, welche in einer gewissen Entfernung stehen, auf eine fast unempfindliche Weise durchdringt und ihnen seine Wärme mitteilt, ohne dass man viel dabei empfindet, also werdet ihr auch in diesem Gebet keine besondere Wirkung wahrnehmen.

    Solltet ihr auch in dem Herzensgebet weniger Innigkeit verspüren, so bitte ich euch, dasselbe trotzdem zu versuchen. Denn ihr werdet sehen, dass eure Seele viel mehr im Guten zunimmt durch das leidende Gebet als durch das wirksame Gebet. Beim Herzensgebet soll Gott selbst der einzige Grund eures Gebets werden. Übergebt euch in seine Hand, damit Er aus euch alles mache, was Ihm gefällt. Und solltet ihr auch in diesem Gebet verschiedene Zustände durchlaufen, es sei nun Innigkeit oder geistliche Dürre, so muss euch doch alles zum Besten dienen und ihr werdet in der Liebe befestigt werden. Denn was unserer eigenen Vernunft am wenigsten nützlich zu sein scheint, das nützt uns am meisten.

    Vor allem aber stellt die Wirksamkeit des Verstandes auf die Seite, ohne denselben weiter nachzuhängen, damit das Herz nicht ausgetrocknet werde. Verrichtet ein Gebet der Liebesneigung mit wenigen Worten und schweigt wieder. Sagt zum Beispiel: "O mein Gott, ich wollte dich gerne lieben, so wie du es verdienst! Hilf mir, dass ich dich wenigstens soviel liebe, als ich fähig bin." Danach verharrt in einem ehrerbietigen Stillschweigen eine Zeitlang vor Ihm und sagt darin: "Breite doch mein Herz aus, damit es mehr Liebe in sich aufnehme, zerschmilz dasselbe, auf dass es in dich hineinfließe."

    Das sind nur kleine Proben, ihr könnt natürlich sagen, was euch in den Sinn kommt. Jedoch seid vielmehr mit den Herzen als mit den Kopf wirksam und verharrt nach solchen kurzen Worten der Liebe im Stillschweigen, mit einer tiefen Demut und liebevollen Ehrerbietung. Denn man kann beten ohne ein einziges Wort zu bilden oder auszusprechen, ohne Betrachtungen anzustellen und ohne nachzusinnen, ohne vernünftige Worte oder Überlegungen, ja ohne äußerlich etwas zu wissen oder zu unterscheiden. Denn das Gebet ist für die Seele eine ganz natürliche Sache, wenn sie darin eine gewisse Fertigkeit und Gewohnheit erlangt hat, gleichwie das leibliche Auge sehen kann, ohne den Unterschied im Wirken und Sehen zu empfinden.

    So ist das Herzensgebet ein Gebet ohne Worte und Gedanken, ein unausgesprochenes Gebet, wobei es auch hier wieder Unterschiede gibt. Ist das Gebet vollkommen, so ist es eine Frucht der Liebe zu Gott, wo nur die lautere Liebe betet. Ist es weniger vollkommen, so ist es mehr eine Empfindung unserer Bedürfnisse, wo das hilfesuchende Herz sich vor Gott darstellt. Denn wenn man hilfesuchend ist, so redet man mehr, man hat da keinen Lehrmeister nötig. Einen armen Bettler muss man auch nicht belehren, wie und was; er bitten soll.

Wenn uns nun unser Herr befiehlt, ohne Unterlass zu beten, so hat Er von uns keine unmögliche Sache verlangt. Wir wollen nun sehen, welche Art von Gebet immerwährend sein kann. Das Wortgebet, bei welchem die Worte oder Gedanken aus einem Herzen herkommen, das sich in Liebe zu Gott hinneigt, kann nicht immerwährend sein. Tausend Dinge unterbrechen dasselbe. Jedermann ist bekannt, dass man nicht allezeit auf eine bewusste Weise an Gott denken oder mit Ihm reden kann, da man öfters durch allerlei Zerstreuungen unterbrochen wird, seien es Geschäfte oder andere vorkommende äußerliche Dinge, wie auch der Schlaf und sonstige Bedürfnisse dieses Lebens. Man muss oft mit andern Menschen umgehen, den Nächsten beispringen um ihn zu trösten, man muss die Verbindlichkeiten bei seinem Beruf erfüllen und den Vorgesetzten gehorchen, so dass man öfters abgelenkt wird.

    Ebensowenig ist die Betrachtung ein immerwährendes Gebet, denn allezeit Betrachtungen über göttliche Dinge anzustellen, dürfte sehr schwierig sein. Abgesehen davon ist die Betrachtung kein eigentliches Gebet, da nur der Verstand allein ohne den Willen tätig ist. Und der Verstand ist in seiner schwachen Art oft unkonzentriert, unbeständig und oberflächlich, so dass das, was im Verstand durch vernunftgemäßes Überlegen vorgeht, nicht immerwährend sein kann. Nur ein Herz, das sich in Liebe zu Gott hinneigt, macht, dass die Seele gerade zu Gott aufsteigt.

    Die Gebete, welche man Stossgebete zu nennen pflegt, übertreffen die Betrachtung um vieles und sind sehr gut, weil sie aus dem Andenken an Gott stammen. Doch können auch diese nicht immerwährend sein. Wenn wir das Gebet der Betrachtung einem Nachlesen der Ähren vergleichen, wo es viele Mühe und wenig Frucht gibt, so können wir das Gebet der Liebesneigung, wo die Seele sich in Liebe zu ihrem Gott hinneigt, einer Ernte vergleichen, wo man mit einen Schnitt ganze Hände voll Ähren einsammeln kann. Denn wenn man sich einfältig und in Liebe zu seinem Gott hinneigt, so wird das Herz sogleich angefüllt. Es wird ihm soviel gegeben, dass es sich in inniger Freude eine Zeitlang davon ernähren kann. Alle diese Arten des Gebets (sofern man sich nicht damit überladet) sind sehr gut, um in das immerwährende Gebet eingeführt zu werden, gleichwie die Opfer des Alten Testaments eine Vorbereitung auf das immerwährende Opfer Jesu Christi waren.

    Nun haben wir immer noch nicht gezeigt, welches Gebet zu allen Zeiten und an allen Orten geschehen kann, das immerwährend ist und höchstens durch die Sünde und Untreue gestört und unterbrochen werden kann. Es ist das Glaubens- und Liebesgebet, welches durch den Glauben und durch die Liebe im Innern verrichtet wird. Dieses Gebet des Glaubens ist einfältig, lauter und allgemein. Es wird weder etwas wahrgenommen, noch kann man etwas unterscheiden. Es ist alles endlos, ohne Ziel und Mass. Es können weder Gemütsempfindungen noch Gedanken, weder Worte noch Gebetsanliegen unterschieden werden. Es kann auch nicht unterbrochen, noch gestört oder aufgehoben werden. Ebenso wenig oder noch weniger kann das Liebesgebet, das durch die völlige Neigung des Herzens zu Gott verrichtet wird, unterbrochen oder gestört werden, weil das Herz nicht ermüdet zu lieben.

    Das Gebet ohne Unterlass kann weder durch den Mund, noch durch Worte und Gedanken, noch durch vernunftsgemäße Überlegungen und Verstandesfolgerungen geschehen, da es mehr eine stetige Vereinigung unseres Willens mit dem Willen Gottes ist. Aber wie kommen wir zu diesem Gebet? Es ist vor allem das Herzensgebet, das wir bereits erwähnt haben, welches uns in das immerwährende Gebet einführt. Auch muss die Seele sich ganz zu Gott hinneigen, Ihm anhangen, nach Ihm streben, bis sie sich mit Ihm vereinigt findet. Dann wird sie empfinden, dass in ihrem Herzen ein immerwährendes Gebet und eine ununterbrochene Liebe Eingang gefunden hat.

    Oh wie sind die Menschen betrogen, welche alle ihre Frömmigkeit mit der Wirksamkeit des Verstandes ausüben und meinen, das Gebet müsse ein Vernunftsgeschäft sein. Auf diese Art kann man einen unbegreiflichen Gott nicht erkennen und begreifen. Denn das Gebet muss eine immerwährende Liebe oder Liebesbezeugung sein. Man geht mit Gott um wie mit einem guten Freund. Anfangs hat man seinem guten Freund tausend Dinge zu sagen und ihm viele Sachen vorzulegen. Nachher aber weiß man nicht mehr so viel, und man kann auch nicht mehr gut weiterreden, ohne den vertraulichen Umgang zu stören, da man alles gesagt hat. Hingegen kann man einander trotzdem besuchen, es ist eine Freude zusammen zu sein, auch wenn man nicht miteinander redet. Es genügt wenn man empfindet, dass einer bei dem andern ist. Man ruht in dem Genuss einer süßen und angenehmen Freundschaft, man schweigt still und versteht einander trotzdem. Man weiß, dass man in allem eins ist, das eine Herz ergießt sich ohne Unterlass in das andere, so dass die zwei Herzen zu einem werden. Und so gelangt man durch den Umgang mit Gott im stillen, inneren Gebet zu einer einfältigen und vertraulichen Vereinigung.

    In dem Gebet ohne Unterlass ist unser Herz zu Gott hingeneigt. Diese Neigung zu Gott kommt aus der Liebe hervor. Und wie durch die Wirkung der göttlichen Gnade die Liebe zu Gott in uns entstanden ist, so macht nun die Liebe wiederum, dass die göttliche Gegenwart in uns vermehrt wird. Und so kann das Gebet der Liebe in uns ohne unser Nachsinnen geschehen, wie man öfters erfahren kann. Wie bei einem Menschen, der atmet, ohne darüber nachzudenken, so ist auch dieser Weg des immerwährenden Gebets geheim, mystisch und unbegreiflich. Es ist ein Gebet, das zu aller Zeit geschehen kann, ohne dass das Herz bewusst redet oder denkt.

    Neben diesem immerwährenden Herzensgebet gibt es aber noch ein förmlicheres und ausdrücklicheres Gebet, welches man zu gewissen festgesetzten Zeiten verrichten soll. Bei diesem Gebet schiebt die Seele alle anderen Beschäftigungen zurück, um sich einzig und allein mit Gott zu beschäftigen. Wenn man in einem wirksamen Stande ist, so geschieht dieses ausdrückliche Gebet zu vorher festgesetzten Zeiten; ist man hingegen in einem leidenden Stand, so geschieht das Gebet zu denjenigen Zeiten, welche der innere Geist durch seinen Zug anzeigt.

    Es ist ein Betrug. wenn man sich einbildet. dass man keine andere ordentliche Zeit nehmen müsse. um das innere Gebet zu verrichten, weil man ja die Gegenwart Gottes den ganzen Tag über habe und genießen könne. Denn der Genuss der Gegenwart Gottes ist ja eben die Frucht und eine weitere Ausbreitung des inneren Gebets. Wer es deshalb unterlässt, zu gewissen Zeiten das ausdrückliche Gebet zu verrichten (unter welchem Vorwand es auch immer sein mag), der wird die Gegenwart Gottes in den täglichen Beschäftigungen nicht lange behalten können. Ich weiß, daß es nicht immer möglich ist, das Gebet zu einer gewissen. ordentlichen Stunde zu verrichten, da man durch unvermeidbare Vorfälle daran gehindert werden kann. Trotzdem muss man sich jeden Tag Gelegenheit zur stillen Zeit nehmen. Wenn wir unserem Leib die Nahrung geben, so ist es angebracht, auch unsere Seele täglich zu ernähren. Soviel Zeit verschwenden wir unnütz, lasset uns Gott einen Teil davon geben. denn nur diese Zeit ist nicht verloren, die wir Ihm schenken.

    Damit das innere Gebet in uns recht erweckt wird, hat die Seele anfangs zwei Übungen zu verrichten. Erstens die Übung und Vorstellung der Gegenwart Gottes. Denn es ist eine Glaubenswahrheit, dass die unendliche Majestät Gottes und die ganze anbetungswürdige Dreieinigkeit alles erfüllt. Deshalb muss die Seele diese Wahrheit fest glauben und sich inwendig in diesem Glauben üben, dass nämlich Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in ihr wahrhaftig gegenwärtig sei. Zweitens muss sie sich völlig und von ganzem Herzen Gottes Händen überlassen, indem sie sowohl ihr Inneres als ihr Äußeres samt allen ihren Kräften und Verrichtungen diesem allerheiligsten Willen übergibt, so dass er für Zeit und Ewigkeit, sowohl während als außer dem Gebet mit ihr verfahren darf, wie es ihm beliebt.

    Es ist eben notwendig, dass man sich im Anfang dieser Übung bedient, damit das Feuer angeblasen wird. Nachher wenn es angezündet ist und brennt, hat die Seele weiter nichts zu tun, als die ganze Zeit über im Frieden und Stillschweigen zu verharren, indem sie sich danach ausstreckt, sich mit diesem liebevollen Andenken Gottes zu beschäftigen, welcher genau so in ihr gegenwärtig ist, als Er im Himmel ist.

    Wer ihr auch sein möget, die ihr noch keine beständige Gewohnheit und Fertigkeit im inneren Gebet habt, so kennt ihr doch das Vaterunser! Damit habt ihr genug, das innere Gebet zu verrichten, auch wenn ihr gleich nichts anderes wüßtet. Denn eine jede Bitte im Vaterunser ist so inhaltsreich, dass man davon eine gute, lange und brünstige Beschauung anstellen kann. Besonders aber wenn man diese Bitten bei sich wiederholt, sie lebendig durchdringt oder im Grunde des Herzens erwägt, so bringen diese ganz andere und bessere Wirkungen hervor, als wenn sie nur mit dem Munde ausgesprochen werden. Wenn ihr die Worte etliche Tage in euren Herzen erwägt und den Geist der Gnade und des Gebets in euch wirken lasst, so werdet ihr, wie die Erfahrung lehrt, schnell aus fleischlichen in geistliche Menschen verwandelt werden. Denn dieses tiefe Gebet, das im Glauben durch die zuvorkommende Gnade des Heiligen Geistes verrichtet wird, zieht den Geist Gottes über euch herbei, oder aber, wenn ihr den Geist Gottes schon habt, wird dessen Wirkung in euch vermehrt werden, und diese wunderschöne Veränderung, als sein alleiniges Werk, in euch vollbringen. Diese Verheißung, zu welcher Gott steht, gilt für alle rechtschaffenen Beter.

    Was nun das Bitten anbetrifft, so ist es für die Seele das Beste, wenn sie nichts anderes tut, als ihre Not und Pein Gott hinzulegen. Denn wer in Bescheidenheit liebt, kümmert sich nicht darum, wie er um das Nötige bitten soll, sondern er legt seine Not einfach vor Gott hin, damit der Herr das mache, was Er für gut findet. Gleich wie die Schwestern des Lazarus dem Herrn Jesu nicht melden ließen, Er solle ihren Bruder wieder gesund machen; sondern sie ließen Ihm nur sagen, dass derjenige, den Er liebe, krank geworden sei. Dieses Vorgehen ist aus folgenden Gründen empfehlenswert: erstens weil der Herr besser weiß als wir, was für uns das Beste ist. Zweitens, weil Gott mehr Mitleid hat, wenn Er die Not und die Übergabe desjenigen sieht, den Er liebt. Drittens, weil die Seele vor der Eigenliebe mehr bewahrt bleibt, wenn sie nur das vor Gott hinlegt, was ihr mangelt, als wenn sie um das bittet, was nach ihrer Meinung für sie nötig ist.

    Wenn die Seele sich so verhält, dass sie ihre Nöte einfach vor Gott hinlegt, so soll sie etwa folgendermaßen sprechen: "Saget dem Herrn, dass ich krank bin, und weil Er allein meine Genesung ist und mich gesund machen kann, dass Er mir die Gesundheit schenke. - "Saget den Herrn, dass ich Kummer und Angst habe, und weil Er allein meine Ruhe ist, dass Er mir Ruhe gebe." - "Saget dem Herrn, dass ich sterbe, und weil Er allein mein Leben ist, dass Er mir das Leben schenke."

    Als Hanna, die Mutter Samuels, den Herrn um einen Sohn bat, schwieg sie in ihrem Gebet den größten Teil. Ihr Gebet war ein Gebet des Stillschweigens. Weshalb wohl? Weil es eine Bitte des Glaubens war, welche ohne Geräusch der Worte, in der Unterwerfung unter den Willen Gottes verrichtet wurde. Sie war vom Geist Gottes belebt, deshalb tat sie ihr Gebet ohne viele Worte.

    Wenn es darum geht, Gott um etwas zu bitten, so muss man schweigen, weil wir nicht wissen, was wir bitten sollen und wie wir es vorzubringen haben. Schweigen wir aber, so bittet der Heilige Geist selbst für uns mit unaussprechlichen Seufzern. Was bittet aber dieser Heilige Geist, der uns in unseren Schwachheiten aufhilft? Er bittet nur um das, was gut und vollkommen ist, weil er nur allein um den Willen Gottes bittet, dass derselbe geschehen möge. Deshalb müssen unsere Bitten mit Ehrfurcht und Stillschweigen blass vor Gott dargestellt werden. Im Gebet der bloßen Darstellung oder Einfalt bittet man, ohne das geringste zu sagen. Man erwartet alles, ohne etwas zu fordern. Man verlangt die Erfüllung der Bitten, indem man sich den Willen Gottes unterwirft, d.h. man überlässt es Ihm, ob Er die Bitten erfüllen oder abschlagen wolle. In einem solchen Gebet erlangt man meistens mehr, als man sich zu bitten getraute.

    Dieses Gebet der bloßen Darstellung folgt auf das Gebet der Liebesneigung, indem die Seele nichts anderes tut, als sich ganz einfältig vor Gott darzustellen. Es gibt im Evangelium Beispiele von dieser Art Gebete. Ein Gebet der Liebesneigung ist der Ausspruch: Erbarme dich meiner, mach mich gesund, während die Worte: Wenn du willst, so kannst du mich gesund machen, einem Gebet der bloßen Darstellung entsprechen. Die Dinge, um welche man bittet, werden nur dargestellt. Man lässt nachher die Sache wie sie ist, in einer gänzlichen Gleichgültigkeit. Man muss aber darin treu sein, und nicht seine grobe Hand an Gottes Werk legen wollen. Es ist ein stummes Gebet, viel kräftiger als jedes andere; ein Gebet, welches Gott fast allezeit erhört.

    Aber dieses verlange ich von euch, dass ihr im Gebet einfältig seid, ohne ausschweifende Worte, auf dass Gott, welcher seinen Geist über die Einfältigen ausgießt, selbst euer Gebet sei. Lasst eure Gedanken wegfallen und räumt ihnen keinen Platz ein; seid einfältig am Verstand und habt nur eine einzige Absicht auf Gott in allem eurem Tun. Solltet ihr auch während den Gebet zerstreut sein, so werdet ihr Gott dennoch angenehm sein, sofern ihr nicht in die Zerstreuung einwilligt und mit allem Willen im Gebet verharrt.

    Was wir von unserer Seite aus tun können und sollen, ist das, dass wir uns aller Gedanken und aller Worte (diejenigen ausgenommen, zu welchen wir verbunden sind, und was die Pflichten unseres Standes und Berufs erfordern), aller Überlegungen der Vernunft, aller Gestalten und Bilder, auch von allem Nachsinnen entschlagen, indem wir solches nicht mit Willen ins Gemüt einlassen, sondern alles fallen lassen, sobald es sich eindrängen will, es sei nun während der Zeit des ordentlichen Gebets oder auch den Tag über. Das ist mir schon lange klar geworden, dass es notwendig ist, keine Gedanken in das Gemüt einzulassen, seien es nun gute oder böse. Auch muss man von allen Gestalten und Bildern frei und ledig sein, wenn man das lautere, innere Gebet verrichten will.

    Es ist eine Gott entgegengesetzte, eigensinnige Meinung, wenn man glaubt, nur mit Worten oder Gedanken beten zu können, die innerlich oder äußerlich ausgesprochen werden. Denn nur im Stillschweigen und in der Ruhe der ganzen Seele mit allen ihren Sinnen, Neigungen und Kräften, werden die Worte des Geistes und des Lebens, sowie seine lebendigen und geheimen Lichter in das Herz eingeflösst. Man muss Gott nur Zeit dazu geben, ohne zu meinen, dass dieser Stand des inneren Stillschweigens Zeitverlust und Müßiggang sei. Im Gegenteil ist die Seele mehr als je beschäftigt, weil sie sich in diesem Gebet im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe übt. Sie übt sich im Glauben, weil sie an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist glaubt, und sich dieser Dreieinigkeit überlässt, welche wahrhaftig in ihr gegenwärtig ist. Sie übt sich aber auch in der Hoffnung, da ja die Seele in einem solchen Gebet des inneren Stillschweigens nicht verharren würde, wenn sie nicht Hoffnung hätte, Gott darin zu gefallen. Am besten aber übt sie die Tugend der Liebe aus, weil sie dem Willen Gottes gelassen und ergeben bleibt.

    Da man in einem solchen ehrerbietigen Stillschweigen die großen Tugenden auf eine so herrliche Art ausüben kann, so wollen wir uns doch in Zukunft an dieses Gebet halten. Doch wollen wir nicht allein wegen den Tugenden das innere Gebet Oben, sondern vor allem wegen der lauteren Liebe zu Gott. Die Liebe soll die treibende Kraft sein und das Gebet beseligen. Denn Gott ist ein Geist und als solcher auch Wahrheit. Deshalb will Er auch eine entsprechende Anbetung. Obschon nun auch die anderen Arten des Gebets gut und heilig sind, so sind sie eigentlich doch nicht für Ihn geeignet, da sie wenig Ähnlichkeit mit dem haben, was Er ist. Als ein Geist muss Er eine Anbetung vom Geist haben, man muss Ihn im Geist anbeten. Als Wahrheit will Er, dass man Ihn in der Wahrheit anbetet. So wird das Anbeten im Geist zu einer Vereinigung mit der Wahrheit. Man kann nicht im Geist anbeten, ohne auch zugleich in der Wahrheit anzubeten, weil der Geist sowohl Wahrheit ist, als auch die Wahrheit des selbständigen Worts. Alle anderen Arten Gott anzubeten, haben einen Geschmack des Menschlichen und werden oft in eigener Absicht und mit Eigennutzen vorgebracht und davon durchdrungen.

    Wir betrügen uns in unseren Sinnbildern und in den Begriffen, die wir von Gott haben. Deshalb kann auch unsere Anbetung, welche unseren Sinnbildern entspricht, nie mit dem was Gott ist zusammenpassen oder Ihm ähnlich sein. So lasset uns denn gleicher Meinung sein und zugeben, dass nur die Anbetung allein Gott wohlgefällig ist, die im Geist und in der Wahrheit geschieht. Und diese Anbetung ist es, welche das selbständige Wort, Jesus Christus, durch seinen Geist in uns wirkt. Auch der Apostel weist darauf hin, wenn er sagt, dass der Heilige Geist in uns bete. Der Geist aber betet nur in uns nach dem was er ist, das ist auf eine rein geistliche Weise.

    Deshalb ist es klar und offenbar, dass das wahrhaftige, innere Gebet nicht anders als durch die Hilfe des Heiligen Geistes in uns geschehen kann. Denn wenn wir nicht einmal vermögen, den verherrlichten Namen JESUS mit gebührender Ehrerbietung oder einiger Gottesfurcht auszusprechen, oder Ihn einen Herrn in der Wahrheit zu nennen, ohne besonderen Beistand des Heiligen Geistes, wie viel weniger können wir aus uns selbst von ganzem Herzen auf eine Art und Weise beten, die Gott angenehm wäre? Und wenn wir nicht wissen, um was wir bitten müssen, noch fähig sind so zu bitten, wie es sich gebührt, muss dann nicht der Heilige Geist für uns mit unaussprechlichen Seufzern bitten? Und muss nicht Gott, welcher die Herzen ergründet und allein versteht, was der Heilige Geist in dem Geiste des inneren Menschen verlangt, muss nicht Er veranlassen, dass der Heilige Geist in uns bittet?

    Wo nun der Geist Gottes ist, da ist Freiheit. Sicher wäre es eine vermessene und unnütze Bemühung, wenn man demselben Vorschriften machen und seine Wirkung einschränken wollte. Deshalb muss man sich nicht in eine Art des Gebets zwingen, sondern sein Herz dem Heiligen Geist öffnen und es ihm übergeben, damit er nach der ganzen Stärke und Größe seiner Züge, die reine Gnade sind, den Menschen bewege und lenke. Und so gibt der Heilige Geist uns die Freiheit, entweder im Gebet zu reden oder zu schweigen, entweder um einige Gnade zu bitten oder um nichts zu bitten, entweder empfindliche Gnadenbezeugungen zu genießen oder nichts zu erhalten, entweder in Brünstigkeit zu sein oder in geistlicher Dürre, entweder stark zu sein oder schwach, entweder im Licht zu wandeln oder in der Finsternis, entweder mit Trost und Süßigkeit oder mit Ekel und Widerwillen erfüllt zu werden, entweder in einem geheimen, unbegreiflichen Weg zu stehen oder in Empfindlichkeit zu sein.

    Es ist nicht schwer, diesen göttlichen Zug zu erkennen, da dieser Zug von einer Innigkeit begleitet wird. Auch spürt man ein Unvermögen, diesem göttlichen Zug entgegen zu arbeiten. Was hingegen der eigene Geist mit Anstrengung und Geschäftigkeit hervorbringen will, wirkt hart, mühsam, verdreht, unfruchtbar und ist ohne Geschmack; und solches kann nur mit Gewalt behalten werden.

    Der Herr wird in der Schrift JEHOVA, ewiger Gott, genannt. Damit wird uns zu verstehen gegeben, dass Er immer Gott ist und als solcher immer angebetet, angefleht und angerufen werden muss. Unser Gottesdienst und unsere Anbetung muss ewig werden. Deshalb sagt Jesus Christus selbst, dass man allezeit beten und nicht nachlassen oder ermüden solle. Auch der Apostel Paulus will haben, dass man ohne Unterlass bete, wie bereits angeführt worden ist. Es ist aber nur der Stand des Glaubens, welcher das Gebet immerwährend machen kann. Abraham, der Vater der Gläubigen, ein Mann mit dem größten Glauben, der jemals gewesen ist, rief den Namen Gottes an allen Orten an. Weil er in einem immerwährenden Gebet stand, hinterließ er an allen Orten Merkmale seiner Anbetung, seines Gebets und seines Opfers.

    Damit wir aber diesen Geist des Gebets, welcher uns mit dem Herrn vereinigen soll, behalten können, um in dem immerwährenden Gebet zu verharren, müssen wir zwei Punkte beobachten und tun. Erstens müssen wir dem Geist Nahrung geben. Zweitens müssen wir alles vermeiden, was uns veranlassen könnte, denselben zu verlieren. Was dem Geist des Gebets Nahrung geben kann, ist das Lesen erbaulicher Bücher, besonders aber der Heiligen Schrift, und zwar nach einer gewissen Ordnung. Auch das ordentliche Gebet zu gewissen Zeiten und die öfters wiederholte Einkehr oder Sammlung des Gemüts den Tag über ist sehr nützlich. Zu empfehlen ist auch die Einsamkeit und das Zurückziehen von allen Geschäften und von allem Umgang mit den Menschen, besonders wenn man merkt, dass man es nötig hat, oder es uns von geistlich erfahrenen Leuten angeraten wird. Was aber macht, dass wir den Geist des Glaubens verlieren, ist z.B. die Sünde, der Umgang mit Weltleuten, besonders mit solchen, die einer Irrlehre angehören oder sonst falsche Andachten haben. Das soll uns voller Furcht machen, dass wir immer auf unserer Hut stehen und vorsichtig wandeln.

    Wenn wir aber gewahr werden, dass wir einen Fehler begangen haben, sei es aus Übereilung oder gar mit Willen, so sollen wir im gleichen Augenblick einfältig und aufrichtig und mit ganzem Herzen zu Jesu Christo zurückkehren. Dies geschehe nach dem geistlichen Stand der Seele in mehr oder weniger wirkender Weise, je nachdem unser inneres Gebet mehr oder weniger wirksam oder leidend ist.

    Man muss demnach beten, in der Gegenwart des Herrn wandeln, sich nicht allzu sehr in die äußeren Dinge, in sein Geschäft oder seine Arbeit auskehren und sich zerstreuen, sondern sich absterben und sein Fleisch bezähmen, indem man sich selbst und seinen unordentlichen Neigungen absagt. Denn die Absterbung und die Verleugnung gehen mit dem inneren Gebet Hand in Hand und gehören notwendigerweise zusammen. Ohne inneres Gebet gibt es keine wahrhafte Absterbung und Verleugnung, ebenso gibt es auch ohne Absterbung und Verleugnung kein wahrhaftes inneres Gebet. Wenn das eine oder das andere fehlt, so ist keine Bekehrung, kein inneres rechtschaffenes Wesen, keine Vollkommenheit und kein wahres Christentum möglich. Man darf sich da nicht betrügen. Es ist unmöglich, ohne die Absterbung oder Kreuzigung und ohne die Verleugnung seiner selbst Gott wahrhaft ergeben zu sein. Entweder nimmt die Absterbung zu oder das innere Gebet nimmt ab.

    Diese Absterbung oder Kreuzigung kann die Seele nicht von sich aus lernen, indem sie mit allem Fleiß sich selbst zu töten oder zu kreuzigen sucht. Gott selbst unterrichtet die Seele. Sie muss nichts anderes tun, als sich durch die Liebesneigung mit Gott zu beschäftigen, sich Ihm zu übergeben und zu überlassen. Dann wird sie von Gott zur rechten Zeit auf alles aufmerksam gemacht. Er geht hinter ihr her und unterweist sie fortwährend. Wenn die Seele ihren Mund öffnen will um zu reden, so macht dieser innere Bestrafer, dass sie den Mund wieder schließt. Wenn sie etwas ansehen will, so lässt Er sie die Augen abwenden.

    Damit das innere Gebet rechtschaffen ist, muss die Absterbung mit demselben Schritt halten. Je nachdem das innere Gebet zunimmt, müssen auch die Sinne und die Erregungen des Gemüts bezähmt werden. Da darf man sich nicht schonen, in welcher Sache es auch immer sein mag. Man kann die Absterbung der Sinne und der Gemütsaffekte als die anfängliche Arbeit des wahrhaftigen inneren Gebets bezeichnen. Deshalb muss man immer gegen dieselben angehen, weil sie das Gebet hindern und stören. Anfangs geschieht das in eigener Wirkung, bis Gott selbst eingreift und dem Menschen die weitere Möglichkeit zu wirken benimmt. Mit seiner Wirkung, die alles menschliche Wirken weit übertrifft, bändigt Er die Affekte und Sinne auf eine viel kräftigere Weise. Da muss man dann sehr treu sein, dass man im Anfang nichts übersieht, damit man sich die tägliche Absterbung und Verleugnung richtig angewöhnt. Nachher, im fortgeschrittenen geistlichen Leben, wird eine noch größere Treue erfordert. Man muss sich von seiner Arbeit und von seinem Wirken entblößen und Gott die Arbeit tun lassen. Auch sollen wir nicht aus eigenen Kräften Gutes wirken und beten wollen, sondern dem Geiste Gottes Raum geben, dass er in uns bete und wir durch ihn.

    Oh, in diesem Stand des Glaubens verrichtet man ein kräftiges Gebet, das Gebet Jesu Christi, durch Jesus Christus und seinen Geist. Die Seele befindet sich in einem immerwährenden, wirklichen Gebet, ohne Worte, ohne Nachsinnen, ohne Überlegungen und Entschlüsse. Alles was sie ist und alles was in ihr ist betet durch Jesus Christus und in Jesus Christus. Ohne dass die Seele ausdrücklich an das Gebet oder an einzelne Gebetsanliegen denkt, um dies oder das zu erlangen, so erhält sie doch zur Stunde alles, was sie nötig hat. O wie hat das Gebet eine Macht bei Gott. Aber welches Gebet? Das innere Gebet des Stillschweigens, die Zuneigung des Herzens zu Gott, ein Gebet ohne Gedanken, Worte und Bilder, da man alles von der Barmherzigkeit und Allmacht Gottes erwartet. Diejenigen, welche dieses Gebet verrichten, erlangen darin so viele Kräfte, dass sie nicht allein selber getröstet werden, sondern auch andere trösten können, die bedrängt sind.

    Man kann sich fragen, ob denn die anderen Gebete und Gebetsarten abgeschafft werden sollen, wenn man nur noch auf eine geheime, nicht mehr wahrnehmbare Weise beten soll? Sind nicht die Wort- und Mundgebete bei vielen Personen und in vielen Zeiten und Gelegenheiten notwendig und müssen als solche verrichtet werden? Wenn alle Menschen in die Beschauung eingingen und der leidenden Beschauung gewürdigt würden, was würde aus der Wirkung werden?

    Dieser allgemeine Einwand kann wie folgt beantwortet werden: Es wird immer solche haben die wirken, denn jeder, der in die Beschauung eingehen will, muss zuerst in wirksamer Weise tätig sein. Denn die Wirkung ist die Tür und die Vorbereitung zur Beschauung. Es werden sich deshalb allezeit Anfänger im Christentum finden, die in der ersten Stufe des Wirkens stehen. Genauso wie diejenigen, welche das menschliche Ziel erreicht haben, sterben müssen, so werden auch immer wieder andere geboren und müssen von vorne beginnen, damit sie zum Ziel gelangen. Denn es gilt ohne Ausnahme für alle Menschen, dass sie sich üben können im inneren Gebet, in der Ertötung des alten Menschen und in der Verleugnung seiner selbst und aller erschaffenen Dinge. Alle sollen sich üben, es seien Jünglinge, Jungfrauen, verheiratete Personen, Fürsten, Fürstinnen, Könige, Königinnen, Obrigkeiten, Edle, Herren, Gelehrte, Soldaten, Kaufleute, Handwerker und Tagelöhner. Es ist kein einziger ausgenommen, der nicht aufgerufen wird, mit Fleiß zu streben nach dem inneren Gebet, nach der Liebe, der Ertötung der Gemütsaffekte und Sinne, und der Verleugnung.

    Im übrigen müssen wir mit großer Sorgfalt die Leute aussuchen, mit welchen wir Umgang haben mögen; auch dürfen wir uns die nötigen Stunden nicht rauben lassen, in welchen wir nur mit Gott allein im Gebet Umgang haben. Vor allem aber hütet euch vor der Kleinmütigkeit, wenn ihr im inneren Gebet nicht so gesammelt seid, wie ihr gerne möchtet. Gebt das innere Gebet nicht auf und schiebt es nicht hinaus. Oft kann man sich im Gemüt nicht sammeln, weil man sich vorher in große Zerstreuungen eingelassen hat. Wollt ihr, dass eure Gedanken nicht scharenweise kommen, um euch im Gebet zu beunruhigen, so erlaubt ihnen nicht, den Tag über scharenweise bei euch einzuziehen. Die Gedanken dürfen nicht so lange im Kopf bleiben, als es ihnen gefällt. Gewöhnt euch daran, den Tag über die Tür vor den eindringenden Gedanken zu verschließen. Sobald die Gedanken kommen, lasst sie fallen und behaltet sie nicht mit Willen, sondern kehrt euch auf die Seite Gottes. Je mehr ihr jetzt noch Mühe habt, solches zu vollbringen, und es euch schwer fällt, desto mehr müsst ihr euch Gewalt antun, damit ihr mit Gott vereinigt werdet. Denn es fällt nicht schwer, Ihm zu folgen, da Er uns ja auf eine spürbare Weise zieht und seine Treue und Liebe gegen uns bezeugt. Und so können auch wir von unserer Treue Zeugnis geben, wenn wir unserer Natur Gewalt antun und Ihn von ganzem Herzen suchen. Wir müssen Gott so lange suchen, bis wir Ihn gefunden haben; wir müssen so lange anklopfen, bis Er uns auftut; wir müssen so lange bitten, bis Er uns seine göttliche Gegenwart gewährt. Denn die göttliche Gegenwart ist das einzige, das uns in allen Widerwärtigkeiten helfen kann.

    Es gibt Seelen, die sich entschuldigen, dass sie nicht immer beten können. Geht man der Sache nach, so findet man, dass sie in mancherlei Sachen verwickelt sind und an vielen Dingen hängen, welche sie nicht fahren lassen wollen. Wieder andere unterlassen das innere Gebet mit der Ausrede, dass sie viele Geschäfte hätten. Doch damit betrügen sie sich nur selbst, denn das innere Gebet kann auch während den Geschäften verrichtet werden, da diese ausgezeichnete Speise des Innern zu allen Zeiten genossen werden kann.

    Es gibt Leute, die in wichtigen Geschäften stehen, und so viele unumgänglich nötige Pflichten zu erfüllen haben, dass ihnen fast keine Zeit mehr übrig bleibt, besondere Gebetsübungen abzuhalten. Solche müssen ernstlich darauf bedacht sein, ihre Zeit wohl anzuwenden und das Nötigste nicht zu versäumen. Denn wenn man sich nicht Zeit nimmt, so findet man sie nachher auch nicht mehr. Und doch ist es wichtig, für Gott und den Nächsten seine Zeit zu opfern, wie man ja auch oftmals mit unnötigen Dingen seine Zeit vertreibt, obwohl man kein Bedürfnis danach hat. Denn ich habe niemals begreifen können, wie man das innere Gebet versäumen und zugleich im Geistesleben stehen kann.. Es gibt nämlich solche, welche meinen, man müsse sich keine besondere Zeit für das innere Gebet mehr nehmen, wenn man im inneren Geistesleben weit voran gekommen sei. Gegen solche Auffassungen habe ich soviel als möglich immer Stellung genommen. Denn wer kann sich wohl mit Jesus Christus vergleichen, welcher ganze Nächte in dieser heiligen Übung zugebracht hat? Selbstverständlich kann man ohne Bedenken das innere Gebet einmal unterlassen, wenn man umständehalber plötzlich daran verhindert wird. Doch soll das nur selten geschehen und nicht zur Gewohnheit werden. Sobald man kann, soll man die Übung des inneren Gebets wieder vornehmen, denn darauf beruht das ganze Wesen des Christentums. Am besten ist es, sich eine gewisse Regel zu machen und sich entschieden daran zu halten. Obwohl eine so strenge Beobachtung in Ansehung des Gebets zu weit zu gehen scheint, ist es doch notwendig, da man sich sonst nur zerstreut. Man wird träge, verliert seine Kräfte, entfernt sich unvermerkt von Gott, liefert sich seinen Lüsten aus und bemerkt die Abweichung nicht eher, als bis fast keine Hoffnung zur Umkehr mehr da ist.

Oh lasst uns beten, lasst uns beten! Das Gebet ist unser einziges Heil. Gelobt sei der Herr, welcher weder mein Gebet noch seine Barmherzigkeit von mir abgewendet hat. Damit man aber im Gebet treu sein möge, muss man mit aller Treue und Standhaftigkeit seine Geschäfte den Tag über so einrichten, dass alles in fester Ordnung bleibt. Das Gebet, welches auch während den äußeren Geschäften verrichtet werden kann, ist eine Frucht des inneren Gebets oder der stillen Gebetsübung. Es ist wie die Hitze eines Ofens, welche sich noch lange erhält, auch wenn kein Holz mehr nachgelegt wird; es ist die Salbung des Gebets, welche erhalten bleibt; es ist der Geruch des köstlichen Räucherwerks, der sich innen ausgebreitet hat; es ist der verborgene Geschmack des himmlischen Mannas, womit man genährt worden ist; es ist der Eindruck der Liebe und der Gegenwart Gottes in unseren Herzen, welcher mitten unter den Geschäften erhalten bleibt. Und so wird der Mensch in sein Inneres zurückgerufen, wenn er sich in äußerlichen Geschäften zerstreut hat.

    Wenn man vom inneren Gebet aufsteht, das man zu besonderen Zeiten verrichtet hat, so soll man das, was man empfangen hat, als etwas Kostbares bewahren und es nicht verlieren. Das Feuer der Liebe und der Innigkeit wird im Gebet und durchs Gebet angezündet, doch erlischt es schnell, wenn es den Tag über nicht unterhalten wird. Man muss ihm Nahrung geben, indem man öfters in sein Inneres einkehrt, in Liebe und Dankbarkeit an seinen Gott denkt und oft in schmerzensvollen Ausdrücken seiner früheren Sünden gedenkt, und die verlorene Zeit beklagt, in welcher man ohne Erkenntnis und ohne Liebe Gottes war. Man muss mit Augustinus sagen: "O du alte und neue Schönheit. Wie habe ich so lange Zeit gelebt, ohne dich zu lieben. Ist es möglich, dass ich dich so spät erkannt habe, der du meine höchste Glückseligkeit bist? Ach, das war mein Fehler, dass ich dich in allen sichtbaren Dingen suchte, wo du nicht zu finden warst, und dass ich dich nicht inwendig in mir suchte, wo es doch dein Wille war, dass ich dich daselbst finden sollte."

    Es gibt Zeiten, wo das Herzensgebet und die innere Gebetsübung schwer und mühsam wird, weil die Liebesneigung des Herzens verborgener ist und weniger empfunden wird. Da muss man dann entweder den Willen durch Erhebungen des Gemüts zur Liebe, zum Vertrauen und zur Übergabe und durch Einkehr in das Innere erwecken, oder ganz an Gott gelassen bleiben, indem man ein Gebet der Geduld nach dem Grad der Seele verrichtet. Man muss die Verzögerung und den Aufschub der Tröstungen erdulden, wie die Schrift sagt, damit unser Leben wachse und erneuert werde.

    Ihr werdet aber einwenden, dass ihr im Gebet nichts ausrichtet, wenn ihr in demselben ganz trocken und zerstreut seid. Da ist zu sagen, dass Gott sicher etwas ausrichten wird, wenn ihr nur treu seid und nicht in die Zerstreuungen einwilligt oder denselben nachhängt. Denn die Zerstreuungen, wenn sie nicht willentlich unterhalten werden, hindern das Herzensgebet nicht. Das Herz bleibt auch in den verschiedensten Erschütterungen und Unruhen dieses Lebens Gott ergeben. Man muss nur nicht sein Herz von Gott abziehen und Ihn mit Willen beleidigen. Die Empfindungen und die Innigkeit bei der Andacht sind nicht ein Zeichen einer vollkommenen Andacht, sondern nur zufällige und vorbeigehende Dinge, ein Strohfeuer, das von keiner Dauer sein kann. Eine gründliche Andacht aber verliert sich nicht, auch wenn die Empfindung aufhört. Sie ist den zufälligen Ursachen nicht unterworfen. Der Kern der Frömmigkeit besteht im Glauben, in der Übergabe an den Willen Gottes, in der geheiligten Liebe ohne jede Empfindung.

    Wenn man mit einer Person lange Zeit keinen Umgang mehr gehabt hat, so wird dieselbe uns ganz fremd. Deshalb müssen wir mit unseren Freunden öfters verkehren, wenn wir eine gewisse vertraute Beziehung unterhalten wollen. Genauso verhält es sich auch mit Gott. Je mehr wir mit Gott umgehen, desto vertrauter wird Er uns, und desto mehr lieben wir Ihn.

    Überlasst euch unserem Herrn und nehmt im Gebet eure Zuflucht zu Ihm. Unterlasst dasselbe niemals, auch wenn ihr keinen Geschmack daran habt. Denn wenn man sich dem Feuer nähert, wird man davon erwärmt, auch wenn man es nicht sieht. Je mehr man sich von der Gegend entfernt, wo die Sonne kräftig scheint, desto weiter kommt man in dunkle und kalte Eisländer. Und so ist es auch umgekehrt: Je mehr man sich der Sonne nähert, desto kräftiger und stärker wird die Hitze. Wenn es Gott gefällt, euch im Gebet etwas zu geben, so nehmt es mit Gleichmütigkeit an. Gehet zum Gebet um den Willen Gottes zu tun, und seid auch nach dem Gebet wohlvergnügt, unbekümmert darum, wie Gott mit euch im Gebet gehandelt hat. Wandelt im Glauben und überlasst euch ganz den Händen Gottes. Ihr könnt sicher sein, dass die Früchte des inneren Gebets unzählig sind. Und wenn man in diesem Leben die besten Früchte nicht erkennen kann, so werden sie doch aufbehalten auf den herrlichen Tag der Ewigkeit.

    Deshalb stellt euch einfältig vor Gott dar. Verharret im Gebet sowohl in der Dunkelheit als auch im Licht, sowohl in der süßen Empfindung seiner Gegenwart, als auch in dem unempfindlichen Zustand der Dürre. Es kommt nicht darauf an, dass wir unser eigenes Wohlgefallen an Gott haben, sondern dass Gott an uns Gefallen hat. Und je mehr wir unter seiner Hand beugsam sind, desto mehr gefallen wir Ihm. Es soll für uns alles gleichgültig sein, denn da wir ja nichts mehr für uns selber wollen, so wollen wir nur noch Gott um seiner selbst willen. Das ist ein großes Ziel, und wiewohl wir von uns aus nichts vermögen, so sind wir doch dazu berufen. Die Zeiten wechseln ab, im Winter schlagen die Bäume Wurzeln und erhalten dadurch eine dauerhaftere Festigkeit. Denn es ist gewiss, dass die Zeit der geistlichen Dürre und Dunkelheit eine Zeit der Reinigung für die Seele ist.

    Doch ist es wichtig, dass man in solchen Zeiten mehr auf dem Weg des Herzens wandelt, als auf dem Wege des Verstandes. Wir sollen den Willen in der Liebe, Gelassenheit und Geduld üben und nicht den Verstand durch Nachsinnen und Betrachtungen schärfen; denn ein Verstand ohne Wirken nützt nichts. Doch mit dem Herzen ist es anders. Ein Herz hört auch ohne sinnliche Empfindung nicht auf, wahrhaftig und tatkräftig zu lieben. Ja die Wirkung des Herzens ist umso lauterer, je verborgener sie ist. Deshalb habt keine Bedenken, auf dem Wege des Herzens und Willens zu wandeln.

    Es gibt Seelen, welche sich wirklich Gott ergeben wollen, weil sie es für das Beste halten; doch schrecken sie sogleich wieder zurück, wenn ihr Land ganz trocken und unfruchtbar ist und die Wasser der Gnade bitter schmecken. Das ist eine allgemeine Klage, dass man auf dem Wege des inneren Gebets nur Bitterkeiten empfinde, statt der Süßigkeiten, welche andere darin finden. Da soll man sich nur selbst die Schuld geben, weil man nämlich die himmlischen Süßigkeiten nicht schmecken kann, ohne die irdischen fahren zu lassen. Doch müsst ihr über die Schwierigkeiten nicht erschrecken, da es in Wirklichkeit gar keine gibt. Überlasst euch nur Gott, denn was den Menschen unmöglich scheint, das ist bei Ihm sehr leicht möglich. So fasset denn Mut, ich erhoffe viel von eurer Seele, wenn ihr Gott getreu seid. Denn das soll eben die Frucht und Wirkung der Widerwärtigkeiten und Leiden, der Prüfungen, der Versuchungen und der geistlichen Unfruchtbarkeit sein, dass wir unsere Seelen in der Gegenwart des Herrn ausschütten. So machte es auch Hanna, die Mutter Samuels. Wer ein Gefäß ausleert, tut nichts anderes, als es gegen die Erde zu neigen, und ohne weitere Anstrengung leert sich das Gefäß von selbst aus. So ist es auch mit demjenigen beschaffen, welcher seine Seele in der Gegenwart des Herrn ausschüttet. Er tut nichts anderes, als dass er sich sanft zu Gott hinneigt. Er folge der Grundneigung, welche die Seele durch die Gnade Jesu Christi hat, sich mit ihrem Zentrum zu vereinigen, so fließt sie unvermerkterweise gegen Gott hin, wie ein reines, klares Wasser.

    Was war es wohl, was Hanna, die Mutter Samuels, zum Gebet trieb? Es war der übergroße Schmerz, welcher in ihr die Neigung zum Gebet auslöste. Und so bin ich auch kaum vor Gott, so verliere ich alle anderen Bilder, und kann nichts anderes tun, als dem Zug der Neigung zu folgen. Diese Neigung legt Gott selbst in uns, damit wir in Ihn einfließen und uns in Ihn versenken sollen. Wie ein mit Wasser angefülltes Gefäß ausgeleert wird und nichts darin zurückbleibt, so will ich mich von mir selbst ganz ausleeren und mich in Ihn versenken. Das ist mein einziges Bestreben, weiter verlange ich nichts, als dass ich auf diese Weise bete. Mein Gebet ist meine Neigung, und meine Neigung ist mein Gebet; und sowohl das Gebet als auch die Neigung werden durch meine Liebe und durch meinen Schmerz hervorgebracht. Denn wir beten notwendigerweise dasjenige an, was wir am meisten lieben, da die Anbetung der Neigung des Herzens folgt. Wenn wir nun Gott über alles lieben, so beten wir Ihn wahrhaftig an. Deshalb gehört das Gebot der Liebe und das Gebot der Anbetung zusammen. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben und Ihm allein dienen. Denn sobald man jemand liebt, gibt man sich Mühe, nur allein demjenigen zu dienen, den man liebt. Er ist unser Gott, und als solchen müssen wir Ihn als unseren Gott anrufen und nicht als den Gott eines andern. Wir müssen Ihm so dienen, wie Er von uns bedient sein will, und nicht, wie andere Ihm dienen oder bloß vorgeben zu dienen.

    Erinnert euch, dass das Reich Gottes, welches in dem inneren Geistesleben besteht, einem im Acker verborgenen Schatz verglichen wird. Dieser Schatz findet sich weniger bei solchen Leuten, die bei andern in einem guten Ruf oder Ansehen stehen, da er dort der Gefahr ausgesetzt wäre, durch die Hochachtung der Mitmenschen und durch die eigene Selbstgefälligkeit besudelt und entzogen zu werden. Deshalb ist dieser Schatz vor allem bei denen, die sich verborgen halten und nach außen nicht viel Aufsehen machen, weil all ihr Feuer inwendig eingeschlossen ist. O es gibt wenige Seelen, welche Gott allein, ohne Nebengötzen, anbeten. Es finden sich viele solche, welche den Dienst und die Verehrung Gottes mit der Abgötterei vereinbaren wollen. Man will Gott und die Welt, das innere Geisteswesen und die Eigenheit miteinander verbinden. Man mag sich Gott nicht überlassen und will alles Fleischliche und Irdische neben Ihm beibehalten.

    Das ist aber unmöglich, solches beleidigt Ihn und reizt Ihn zum Zorn. Gott muss bei uns allein, ohne Nebengott, die Hauptsache sein. Trotzdem glauben viele Gott zu gefallen, obwohl sie Ihm nur einen mit Aberglauben vermischten Dienst abstatten. Solches aber ist ein Gräuel vor Gott. Er will nicht, dass man Ihm nur darum dient, weil man sich einen Nutzen oder sonst etwas Gutes verspricht. Denn manche bilden sich ein, dass Gott schuldig sei, uns mit tausend Gütern zu überschütten, nur weil man Ihm alle Tage einige Lippengebete, wovon das Herz weit entfernt ist, abstattet. Dazwischen opfert man noch dem Götzen der Eigenliebe, und will die heilige Liebe und die Weltliebe zusammen im gleichen Herzen bewahren, obwohl die beiden einander nicht leiden können. Denn wenn in einem Herzen noch die weltliche Liebe herrscht, so kann man daraus schließen, dass die heilige Liebe dort keinen Wohnsitz hat.

    Wenn aber die heilige Liebe Gottes und die Nächstenliebe in einem Herzen wohl bekannt ist und geübt wird, so kann daraus geschlossen werden, dass diese Liebe allein im Herzen vorherrschend ist. Trotzdem kann das Herz noch von verdrießlichen Empfindungen und Versuchungen umgeben sein, welche im Gegensatz zur heiligen Liebe stehen. Oft haben wir auch noch Schmerzen und innere Leiden während und außerhalb des Gebets. Wenn wir der Sache nachgehen, so finden wir, dass diese Leiden von unlauteren Absichten in Bezug auf uns selbst herrühren. Wir mögen uns noch so sehr bemänteln, so kommen doch alle unsere gefährlichsten und am meisten eingewurzelten Übel und Schmerzen daher, dass wir gegen uns selbst und gegenüber den irdischen Dingen noch so sehr empfänglich sind und nichts anderes anschauen mögen, weil wir uns selbst und das Irdische lieben. Deshalb ist es für uns notwendig, dass wir zu Gott zurückkehren. Der Teufel gibt sich nicht Mühe, uns mit großen Sünden zu versuchen, wenn er uns in einem irdischen Sinn gefangen halten kann, der in verkehrter Selbstliebe nur auf sich gerichtet und für irdische Dinge empfänglich ist. Wir müssen uns nur vor Jesu darstellen und Ihn durch stilles Gebet anflehen, so wird Er diesen Teufel aus uns vertreiben und uns von dieser Seelenkrankheit heilen. Denn diese Krankheit ist die gefährlichste unter allen, sie ist die Quelle von allen andern Übeln.

    Seid überzeugt, dass Gott euch zu einem ganz einfältigen Gebet beruft. Doch müsst ihr euch ganz in seine Hände übergeben und nicht mehr auf euch selbst oder auf euer Gebet sehen. Es ist nicht immer gut, seine Zuneigung, die man zu Gott hat, wahrzunehmen und mit Aufmerksamkeit darauf zu achten, wie man betet und wie das Herz auf Gott gerichtet ist. Es ist mir lieber, wenn ihr während dem Gebet hin und wieder zerstreut seid, jedoch ohne Beteiligung des Herzens und des Willens. Das sind eben die Fehler von denen, die im wirkenden Stand oder in der wirksamen Beschauung stehen, dass sie entweder durch Nachsinnen und Überlegungen hinter sich schauen, oder sich bei etwas aufhalten, das geringer ist als Gott. Solche Seelen sind innerlich gespalten. Auf der einen Seite sind sie geneigt, dem Antrieb zu folgen und sich Gott zu übergeben, auf der andern Seite fürchten sie, sie möchten die Kontrolle über sich verlieren und der geschaffenen Stützen verlustig gehen. So kommt es, dass sie sich bald übergeben, bald wieder zurückhalten; in der einen Sache überlassen sie sich bis auf einen gewissen Punkt an Gott, in der andern aber nicht. Diese gegen sich selbst gerichtete Spaltung hält die Seele das ganze Leben hindurch in unaussprechlichen inneren Nöten, Ängsten und Zerrüttungen, welche allein durch den Ungehorsam gegen Gott entstehen. Denn auf der einen Seite zieht Gott und treibt die Seele an, sich in Ihn zu versenken und zu verlieren; auf der andern Seite hält sich die Seele zurück und erduldet lieber eine unerträgliche Qual von innen, weil sie weder Gott noch sich selbst angehört.

    Hier ist nicht der große Haufe der Namenchristen gemeint, welche dem Geld, der Ehre, den Eitelkeiten und den sinnlichen Lüsten dienen und unter die Götzenanbeter gerechnet werden. Nein, es sind die Gläubigen gemeint, welche noch wankelmütig und unbeständig sind. Sie bringen ihr ganzes Leben mit Bauen und Niederreißen zu. Wenn sie jemanden finden, der sie anführt, so ergeben sie sich dem inneren Gebet. Nachher aber, wenn man nicht mehr davon redet oder einige Schwierigkeiten auftauchen, lassen sie das Gebet wieder fahren. Sie haben sich Gott für eine kurze Zeit übergeben, haben Ihm auch Versprechungen gemacht. Nachher aber vergessen sie alles wieder.

    Nach und nach fallen solche Seelen in die Abgötterei zurück, in ihre Eigenliebe und Ergötzungen, und das alles unter dem Vorwand der Notwendigkeit und mit Rücksicht auf ihre Gesundheit. Entschiedene Gläubige aber können eine solche niederträchtige und oberflächliche Teilung zwischen Gott und der Welt nicht leiden. Sie wollen sich lieber ganz verlieren, ganz verleugnen und in Gott versinken. Es missfällt ihnen sehr, wenn man es halb mit Gott und halb mit der Welt hält. Sie können es nicht unterlassen, solche wankelmütige Seelen darauf aufmerksam zu machen, weil sie erkennen, dass man allerlei Nöten ausgesetzt ist, wenn man in seiner Eigenheit verharrt und sich Gott nicht ganz übergibt. Doch werden solche Belehrungen meistens unwillig aufgenommen, weil diese Seelen in ihrer Eigenliebe wollen, dass man Mitleid mit ihren Nöten hat. Ja sie wollen, dass man glaube, ihre Nöte seien von Gott gewirkt. Deshalb haben sie eine Abneigung gegen die, welche sie auf ihre Fehler hinweisen.

    O göttlicher Jesu! Ich vereinige mich mit jenem Gebet Gottes, das du bei Nacht und in Einsamkeit auf dem Berge gebetet hast. Lasst uns mit Jesu Christo auf dem Berge beten, lasst uns beten, wie Er gebetet hat. Lasst uns anschauen, lasst uns lieben, so werden wir das Gebet Gottes verrichten. Mach du, dass wir nie ein anderes Gebet tun mögen. O Gott, sende diesen inneren Geist auf die ganze Erde, so wird dieselbe von neuem geschaffen werden. Gib uns neue Herzen. Amen, o Jesu!